Watsuji Tetsuro
FUDO
Wind und Erde
Der Zusammenhang von Klima und Kultur
Vorgestellt von Markus Goeke, Schüler am Shou Zhong
Kontakt: m-goeke@snafu.de
Vorbemerkung
Ich möchte hier die ersten zwei Kapitel des oben genannten Buches vorstellen, da sie sich mir als fruchtbare Ergänzung und Erweiterung zur chinesischen Sicht des Klimas darstellen, wie sie uns in den Wandlungsphasen, den klimatischen Faktoren und der Stellung des Menschen bezogen auf Natur, Geschichte und Gesellschaft gegenübertritt.
Watsuji Tetsuro (1899 – 1960) ist einer der großen Philosophen Japans. Seine Arbeiten über Nietzsche und Kierkegaard (1913 bzw. 1915) bereiten den Weg für eine japanische Existenzphilosopie vor. Später wandte er sich dem Studium des Buddhismus und der Kultur des alten Japans zu. Seine dreibändige "Ethik" (1937 – 1949) ist vielleicht das größte systematische Werk der modernen japanischen Philosophie.
Zum Verständnis des Textes sei zunächst ein Ausschnitt aus dem Vorwort, sowie die Anmerkung der Übersetzer zitiert:
"In der vorliegenden Studie möchten wir zeigen, daß füdo-sei, das Klimatische, zur Struktur des menschlichen Daseins gehört. Es handelt sich hier also nicht darum, in welcher Weise das Leben des Menschen durch seine natürliche Umgebung bestimmt wird. Unter natürlicher Umgebung versteht man gemeinhin das, was aus dem konkreten Grund des klimatisch Bestimmtseins des Menschen zu einem objektiven Sachverhalt geworden ist. Wenn wir jedoch die Beziehung zwischen diesem ,,objektiven Sachverhalt" und dem menschlichen Leben betrachten, dann ist auch das menschliche Leben bereits vergegenständlicht, so daß wir feststellen müssen, daß wir das Verhältnis zwischen zwei Objekten betrachten - was nichts mehr zu tun hat mit dem subjektiven * (sbutaiteki) Dasein des Menschen. Aber gerade darum geht es uns, denn wir möchten die klimatischen Phänomene als Ausdruck der subjektiven menschlichen Existenz und nicht als die der natürlichen Umgebung verstanden wissen. Eine derartige Verwechslung möchten wir von vornherein ausschließen.
* [Die deutschen Wörter ,,Subjekt", ,,Subjektivität" und ,,subjektiv" wurden unter dem Einfluß der neukantianischen Philosophie zunächst mit shukan, shukansei und shukantei ins Japanische übersetzt und im erkenntnistheoretischen Sinn als Gegenbegriffe zu ,,Objekt", ,,Objektivität", ,,objektiv" verstanden. Im Kreis der sogenannten ,,Kyoto-Schule", unter der Führung von Nishida Kitaro wurden diese Begriffe dann aber anders ausgelegt und auch anders übersetzt, nämlich als sbutai, sbutaisei und shutaiteki. Diese Übertragung setzte sich allmählich in der japanischen Philosophie durch, und zwar aus folgendem Grund:
,,Subjekt" als sbukan im erkenntnistheoretischen Sinn meint etwas Überindividuell-Persönliches, Formales und wird als rein bewußtseinsbezogen verstanden, ,,Subjekt" als shutai hingegen als das mit Bewußtsein und Leib versehene Dasein des einzelnen Menschen im ontologischen oder ethisch-praktischen Sinn, also als das einzelne, unersetzliche, praktisch handelnde persönliche Dasein als Ganzes.
Dieses neue Verständnis des Begriffes ,,Subjekt" entsprach dem der europäischen Philosophie nach dem Ersten Weltkrieg, als der Neukantianismus allmählich an Einfluß verlor und seine stark formalistischen Tendenzen als Mangel empfunden und in Frage gestellt wurden. Ein Wandel fand statt, der von der Erkenntnistheorie zur Lebensphilosophie und weiter zur Ontologie und zur Existenzphilosophie führte. Und von daher erfuhr der Subjektbegriff in der Philosophie Kants und Hegels eine neue Auslegung. So könnte man sagen, daß ,,Subjekt" als shukan etwas rein auf das Bewußtsein Bezogenes und, so gesehen, etwas Abstraktes, Ideelles meint, ,,Subjekt" als shutai hingegen etwas praktisch Handelndes, Tätigkeitsbezogenes. Von der Existenzphilosophie her wäre sbukan dann als essentia und sbutai als existentia aufzufassen. Kierkegaard z. B. hat dieses Verständnis von ,,Subjekt" als shutai dem abgeschlossenen System des objektiven und absoluten Idealismus Hegels entgegengestellt, das die gesamte Wirklichkeit als dialektische Selbstentfaltung des absoluten Geistes erklärt. Auch Marx kritisiert mit seinem dialektischen Materialismus jenen mechanischen Materialismus dahingehend, daß dieser das Objekt, die Wirklichkeit und die Sinnlichkeit ,,bloß objektiv", das heißt, als getrennt vom subjektiven Handeln des Menschen betrachte. Das sinnliche Tun, die menschliche Praxis blieben außer acht.
Auch Watsuji verwendet den Begriff shutai im Sinne der Kyoto-Schule. Der englische Übersetzer hat anstelle der Wörter ,,Subjektivität" und ,,subjektiv" das Wort "self-active" gebraucht. Auch wir haben uns gefragt, ob sbutai ohne weiteres mit ,,Subjekt" übersetzt werden kann und darf. Um aber den philosophiegeschichtlichen Sinnzusammenhang zwischen shukan - shutai nicht zu verlieren, haben wir uns entschlossen, die Wörter ,,Subjekt", ,,Subjektivität" weiter zu verwenden. Sie sind im Text kursiv gedruckt, um auf den oben genannten Bedeutungswandel aufmerksam zu machen. (Anm. der Übers.)]
1. GRUNDTHEORIE ÜBER FÜDO (KLIMA)
1. Klimatische Phänomene
Mit dem japanischen Wort füdo (wörtlich ,,Wind und Erde") ist die natürliche Umwelt eines bestimmten Landes gemeint, nämlich sein Klima, sein Wetter, die geologische und produktive Beschaffenheit seines Bodens, seine topographischen und landschaftlichen Charaktenstika. Früher verwendete man dafür auch den Begriff suido (wörtlich ,,Wasser und Erde"). Hinter diesen Ausdrücken steht die alte Anschauung von der Natur als Um-Welt chisuikafu (wörtlich ,,Erde-Wasser-Feuer-Wind"), die sich aus den vier Elementen zusammensetzt. Ich möchte hier nun diese natürliche Umgebung des Menschen nicht als ,,Natur", sondern als ,,Klima" (füdo) in dem oben genannten Sinn verstehen. Dies hat selbstverständlich seine Gründe. Dazu müssen wir uns zunächst einmal dem Phänomen ,,Klima" (füdo) zuwenden.
Wir alle leben in einem bestimmten Land, dessen natürliche Umgebung uns ,,umgibt", ob wir wollen oder nicht. Dies ist eine für den gewöhnlichen Menschenverstand unumstößliche Tatsache. So betrachten wir in der Regel diese natürliche Umgebung als unterschiedliche Naturphänomene und versuchen herauszufinden, welchen Einfluß sie auf ,,uns" ausüben, zum einen auf ,,uns" als biologische und physiologische Objekte, zum anderen auf ,,uns" als praktisch Handelnde, die wir uns z. B. mit der Bildung eines Gemeinwesens, eines Staates etwa, befassen. Jeder dieser Einflüsse ist so komplex, daß er einer gesonderten fachlichen Untersuchung bedürfte. Uns beschäftigt hier jedoch die Frage, ob das Klima (füdo) als unmittelbare, alltägliche Gegebenheit ohne weiteres mit einem Naturphänomen gleichgesetzt werden darf. Es ist freilich nichts dagegen einzuwenden, wenn die Naturwissenschaft das Klima als ein Naturphänomen behandelt, aber es ist eine andere Frage, ob die klimatischen Phänomene ihrem Wesen nach Gegenstand naturwissenschaftlicher Betrachtung sein können.
Um dieser Frage nachzugehen, wollen wir uns einem, wie es scheint, ganz und gar eindeutigen Phänomen, dem der Kälte, zuwenden, das lediglich ein Moment innerhalb eines Klimas ist. Daß wir Kälte verspüren, ist eine unbestreitbare Tatsache. Was aber ist diese Kälte, die wir empfinden? Bedeutet ,,Kälte" etwa, daß Luft einer bestimmten Temperatur, d.h. Kälte als physikalisches Objekt, die Sinnesorgane unseres Körpers so reizt, daß wir, als psychologische Subjekte, sie als einen bestimmten psychologischen Zustand erfahren? Wenn dem so wäre, dann folgte daraus, daß die ,,Kälte" und ,,wir" getrennt und unabhängig voneinander bestünden, und zwar so, daß nur dann, wenn Kälte von außen auf uns einwirkte, eine ,,intentionale" Beziehung entstünde, die ,,uns frieren machte". So gesehen wäre es richtig, von einem Einfluß der Kälte auf uns zu sprechen.
Aber verhält es sich wirklich so? Wie können wir von einem unabhängigen Vorhandensein der Kälte wissen, ehe uns kalt ist? Wir können es nicht. Erst indem wir Kälte verspüren, entdecken wir, daß es so etwas wie Kälte gibt. Die Vorstellung, die Kälte trete von außen an uns heran, mißversteht die intentionale Beziehung, die eigentlich nicht erst dadurch entsteht, daß ein Objekt von außen herandrängt. Soweit es sich um das individuelle Bewußtsein handelt, hat das Subjekt als solches bereits diese intentionale Struktur und als solches ist es bereits ,,auf etwas gerichtet". Das Gefühl, ,,Kälte zu empfinden" ist kein ,,Punkt", von dem aus das Subjekt eine auf die Kälte gerichtete Beziehung herstellt, sondern ist als Empfindung von etwas bereits eine Beziehung, und genau in dieser Beziehung nehmen wir die Kälte erst wahr. Die Intentionalität als Beziehungsstruktur ist demzufolge die Struktur eines Subjektes, das in Beziehung steht zu ,,Kälte". Daß ,,wir Kälte empfinden", ist zunächst und in erster Linie eine solche ,,intentionale" Erfahrung.
Nun könnte man einwenden, in diesem Falle sei Kälte lediglich ein Moment der subjektiven Erfahrung; die so entdeckte Kälte sei dann nur Kälte in ,,uns". Und doch sei, was wir Kälte nennen, nicht bloß die Kälte in ,,uns", sondern ein das ,,Wir" transzendierendes Objekt und keine bloße Empfindung von uns. Wie aber kann eine subjektive Erfahrung in Beziehung zu einem transzendenten Objekt treten? Anders gesagt: Wie verhält sich das Empfinden von Kälte (in uns) zur Kälte der Luft draußen etc.?
Diese Frage enthält ein Mißverständnis in bezug auf das in der intentionalen Beziehung Intendierte. Das intendierte Objekt ist kein psychologischer Inhalt, deshalb ist Kälte als eine von der objektiven Kälte unabhängige Erfahrung kein Gegenstand der Intention. Wenn wir Kälte verspüren, dann nicht als ein ,,Empfinden" von Kälte, sondern als ,,Kälte der Außenluft" eben unmittelbar als Kälte. Anders ausgedrückt, die in der intentionalen Erfahrung empfundene Kälte ist nichts ,,Subjektives", sondern etwas ,,Objektives". So kann gesagt werden, daß eine intentionale Beziehung, wie in der Erfahrung von Kälte, sich bereits auf die Kälte der Außenluft bezieht. Kälte als etwas transzendent Existierendes wird erst in dieser Intentionalität möglich. Deshalb läßt sich die Frage, wie die Empfindung von Kälte (in uns) sich zur Kälte der Außenluft verhält, eigentlich gar nicht stellen.
So gesehen enthält die übliche Unterscheidung zwischen ,,Subjekt" und ,,Objekt", folglich auch die zwischen ,,der Kälte" und ,,uns", als zwei unabhängig voneinander existierenden Größen, ein Mißverständnis. In dem Augenblick, in dem wir Kälte verspüren, sind wir ja schon der kalten Luft ausgesetzt. In Beziehung zur Kälte geraten heißt nichts anderes, als daß wir selber schon in die Kälte hinausgetreten sind. In diesem Sinne ist unsere Daseinsweise, wie Heidegger betont, durch das ,,Ex-sistere", oder wie wir sagen würden, durch die Intention charakterisiert.
Wir sagen also, daß wir als diejenigen, die hinausgetreten sind, uns selbst gegenüberstehen. Auch wenn wir uns nicht reflektiv oder introspektiv selbst begegnen, ist unser Selbst durch unser Selbst aufgedeckt. Reflexion ist lediglich eine Weise des Sich-selbst-Begreifens und überdies kein primärer Modus der Selbstaufdeckung. (Wenn ,,Reflektieren" jedoch im visuellen Sinn verstanden wird, nämlich als Anstoßen und Zurückgeworfenwerden und als etwas in diesem Zurückgeworfenwerden sich Zeigendes, dann könnte man wohl sagen, daß sich hier die Weise ausdrückt, in der unser Selbst sich uns ent-deckt.) Wir verspüren Kälte, d.h. wir sind in die Kälte hinausgetreten. Indem wir Kälte empfinden, entdecken wir uns selbst in der Kälte selbst. Dies besagt aber nicht, daß wir uns in die Kälte versetzen, um uns dann als solchermaßen Hinausversetzte zu entdecken. Denn in dem Augenblick, in dem Kälte zum erstenmal wahrgenommen wird, sind wir ja schon in die Kälte hinausgetreten. Deshalb ist das ,,draußen Seiende" seinem Wesen nach kein Ding oder Objekt, genannt ,,Kälte", sondern wir selbst sind dieses ,,draußen Seiende". ,,Ex-sistere", das Hinaustreten, ist das Grundprinzip unseres Daseins, das Prinzip, auf dem auch die Intentionalität beruht. Kälte empfinden ist eine intentionale Erfahrung, in der wir uns selbst als bereits in die Kälte Hinausgetretene erkennen.
Oben haben wir die Erfahrung von Kälte unter dem Gesichtspunkt des individuellen Bewußtseins betrachtet. Da wir aber unwidersprochen die Aussage: ,,Uns ist kalt" haben verwenden können, besagt dies, daß nicht nur ,,ich" allein, sondern daß ,,wir" gemeinsam Kälte empfinden. Deswegen können wir auch bei der täglichen Begrüßung Ausdrücke verwenden, die sich auf die Beschreibung von Kälte beziehen. Daß jeder einzelne Kälte unterschiedlich empfindet, ist erst aufgrund eines gemeinsamen Empfindens möglich. Ohne diesen gemeinsamen Grund wäre die Erkenntnis, daß auch die anderen Kälte erfahren, gar nicht möglich. Insofern ist derjenige, der in die Kälte hinausgetreten ist, nicht nur ,ich" allein, sondern auch ,,wir", genauer noch, ,,ich" als ,,wir" und ,,wir" als ,,ich" befinden uns draußen im Kalten. Dieses ,,Wir" ist es, nicht das bloße ,,Ich", für das das ,,Hinaustreten" die grundlegende Daseinsstruktur ist. Das ,,Hinaustreten" besteht nicht in erster Linie darin, in etwas wie Kälte, sondern in das andere ,,Ich" hinauszutreten. Dies ist nun keine intentionale Beziehung mehr, sondern eine wechselseitige Beziehung, die ich mit dem Begriff ,,Zwischen" bezeichne. Und diese ursprüngliche Beziehung des ,,Zwischen" ist es, die wir als uns selbst in der Kälte entdecken.
Mit diesen Ausführungen haben wir das Phänomen ,,Kälte" wohl hinlänglich klären können. Allerdings erleben wir dieses atmosphärische Phänomen nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit Wärme, Hitze und auch mit Wind, Regen, Schnee, Sonnenschein etc. Das heißt, die Kälte ist lediglich eines aus einer Reihe von Phänomenen, die wir in ihrer Gesamtheit als ,,Wetter" bezeichnen. Wenn wir nach einem Spaziergang im kalten Wind ein warmes Zimmer betreten, wenn wir nach dem Ende des Winters durch die milde Frühlingsluft schlendern oder wenn wir an einem glühend heißen Sommertag von einem abendlichen Regenguß überrascht werden, dann verstehen wir in diesen atmosphärischen Erscheinungen, die nicht wir sind, uns selbst. Und so verstehen wir in den Wandlungen des Wetters auch unsere eigenen Wandlungen. Aber auch das ,,Wetter" wird nicht isoliert erlebt, sondern nur im Zusammenhang mit der Fruchtbarkeit des Bodens, mit der Topographie und der Landschaft einer bestimmten Gegend. Der kalte Wind wird als yamaoroshi, als der von den Bergen Herabblasende, oder als karakkaze, als trockener Wind, erlebt. Der Frühlingswind kann der Wind sein, der die Kirschblüten verweht oder die Meereswellen liebkost. Die Sommerhitze ist eine Hitze, die das üppige Grün verdorren läßt, aber auch die Kinder zum Spielen ins Meer lockt. So wie wir unser fröhliches oder trauriges Selbst in einem Wind, der die Kirschblüten zerstreut, finden, so verstehen wir unser Welken in jener lähmenden sommerlichen Hitze, die Pflanzen und Bäume versengt. Mit anderen Worten: Wir finden uns selbst - uns selbst, als ein Element im "Zwischen"-im Klima.
Ein solches Sich-selbst-Verstehen meint nicht das Verstehen des ,,Ich" als des ,,Subjektes", welches Kälte und Hitze empfindet oder sich an den Kirschblüten freut. In diesen Erfahrungen richten wir den Blick nicht auf das sog. ,,Subjekt". Wenn uns kalt ist, erstarren unsere Glieder, wir ziehen warme Kleider an oder holen das Kohlebecken näher heran, vor allem tragen wir Sorge, daß die Kinder warm angezogen sind oder daß die Alten in der Nähe des Kohlebeckens sitzen, oder wir arbeiten mehr; um Kleider und Holzkohle kaufen zu können. Dafür arbeiten Köhler in den Bergen und stellen Textilfabriken Kleiderstoffe her. In unserem Verhältnis zur Kälte ergreifen wir also auf individueller und auf gesellschaftlicher Ebene Maßnahmen zum Schutz gegen die Kälte. Auch wenn wir uns an der Kirschblüte erfreuen, kommt uns nicht das ,,Subjekt" in den Sinn, sondern unsere Aufmerksamkeit gilt den Kirschblüten; wir laden unsere Freunde zum Kirschblütenfest und trinken und tanzen mit ihnen unter den Blüten. Das heißt, indem wir uns in Beziehung zur Frühlingslandschaft setzen, treffen wir; einzeln oder als Gesellschaft, Vorkehrungen, um uns an ihr zu freuen. Dasselbe gilt hinsichtlich der Sommerhitze oder Naturkatastrophen wie Taifunen oder Überschwemmungen. Vor allem im Zusammenhang mit diesen sog. ,,Naturgewalten" treffen wir rasch gemeinsame Vorkehrungen, die uns Schutz gewähren. Das Sich-selbst-Verstehen, wie es durch das Klima zustande kommt, zeigt sich gerade in der Erfindung solcher Maßnahmen und nicht im Verständnis des ,,Subjektes".
Vorkehrungen und Erfindungen wie Kleider; Kohlebecken, die Herstellung von Holzkohle, Häuser; das festliche Begehen der Kirschblüte, Deiche, Kanalisationen, taifunbeständige Baustrukturen und dergleichen sind selbstverständlich aus unserem freien Willen hervorgegangen, jedoch nicht ohne einen Zusammenhang mit klimatischen Phänomenen wie Kälte, Hitze oder Feuchtigkeit zustande gekommen. Indem wir im Klima (füdo) zu einem Verständnis unserer selbst gelangt sind, haben wir mit diesem Selbstverständnis zu einer Weise der freien Selbstgestaltung gefunden. Mehr noch, nicht nur wir heute machen gemeinsame Anstrengungen, um uns gegen Hitze und Kälte, gegen Taifune und Uberschwemmungen zu wehren, wir haben auch teil an dem ererbten Selbstverständnis, das von unseren Vorfahren angesammelt und überliefert worden ist. Im Stil eines Hauses z. B. zeigt sich eine festgelegte Weise des Bauens, die aber nicht ohne Beziehung zum Klima entstehen konnte. Das Haus ist ein Mittel, kraft dessen wir uns sowohl vor Kälte wie vor Hitze schützen, und seine Bauweise wird jeweils dadurch bestimmt, ob man sich stärker gegen Hitze oder gegen Kälte zur Wehr setzen muß. Ein Haus muß ferner so gebaut sein, daß es Stürmen, Überschwemmungen, Erdbeben, Feuer und dergleichen standhält. Um Schutz vor Stürmen und Überschwemmungen zu gewähren, bedarf es eines schweren Daches, das jedoch im Falle eines Erdbebens von Nachteil sein kann. Die Bauweise eines Hauses sollte also unterschiedlichen Bedingungen gerecht werden. Aber es kommt noch etwas anderes hinzu: Feuchtigkeit z. B. erlegt der Wohnweise starke Beschränkungen auf. Wo eine hohe Luftfeuchtigkeit herrscht, muß für Durchlüftungsmöglichkeiten gesorgt werden. Holz, Papier und Lehm sind die Baumaterialien, die den besten Schutz vor Feuchtigkeit gewähren; sie bieten aber überhaupt keinen Schutz vor Feuer. Ehe also ein Haus gebaut wird, gilt es, den jeweiligen regionalen Beschränkungen ihrer Priorität entsprechend Rechnung zu tragen. Somit kommt im Stil eines Hauses das menschliche Selbstverständnis in bezug auf ein gegebenes Klima (füdo) zum Ausdruck. Dasselbe gilt auch für den Stil der Kleidung, der sich über lange Zeiträume hinweg schließlich gesellschaftlich etabliert; auch der Stil der Kleidung wird vom Klima einer Gegend bestimmt. Der für eine Gegend typische Stil der Kleidung wird jedoch zuweilen aufgrund der kulturellen Überlegenheit dieser Region in eine andere übertragen, was bei der Kleidung leichter möglich ist als bei der Architektur. Aber ganz gleich, wohin dieser Kleidungsstil auch verpflanzt wird, die Tatsache, daß er vom Klima bestimmt wurde, das ihn hervorbrachte, läßt sich nie leugnen. Die europäische Kleidung bleibt eine europäische, auch wenn sie schon seit mehr als einem halben Jahrhundert in Japan getragen wird. Noch stärker kommt die Abhängigkeit vom Klima bei der Nahrung zum Ausdruck, da die Lebensmittelproduktion aufs engste mit den klimatischen Bedingungen zusammenhängt. Es ist nicht so, daß der Mensch seiner Vorliebe für Fisch entsprechend hätte wählen können, ob er Viehzucht oder Fischfang betreiben wolle. Im Gegenteil, er entwickelte solche Vorlieben, weil das Klima ihm vorschrieb, daß er Viehzüchter oder Fischer werde. Auch für die Wahl zwischen Pflanzen- und Fleischkost ist weit stärker das Klima verantwortlich als eine vegetarische Ideologie. Auch unser Appetit wird nicht durch irgendwelche Nahrung geweckt, sondern durch eine bestimmte Speise, die in einer besonderen, herkömmlichen Weise zubereitet wird. Wenn wir hungrig sind, essen wir also entweder Brot oder Reis, Beefsteak oder sashimi (rohes, in Stücke geschnittenes Fischfleisch). Die Art der Zubereitung wiederum drückt das in langer Tradition gewachsene, klimatisch bestimmte Selbstverständnis eines Volkes aus. So aßen unsere Vorfahren schon lange, ehe sie die Kunst des Ackerbaus erlernten, Fisch, Muscheln und Seetang.
Auch in der Art und Weise, wie menschliche Aktivität zum Ausdruck kommt, in Literatur, Kunst, Religion, in den Sitten und Bräuchen etwa, begegnen wir klimatischen Phänomenen. Dies ist nur natürlich, weil der Mensch im Klima zum Verständnis seiner selbst gelangt. Von daher leuchtet es auch ein, daß die in diesem Lichte betrachteten klimatischen Phänomene sich von denen unterscheiden, welche die Naturwissenschaft beobachtet. Der Standpunkt, in der Zubereitungsart von Seetang ein klimatisches Phänomen zu sehen, ist wesensverschieden von demjenigen, für den das Klima lediglich die natürliche Umgebung darstellt. Einen Kunststil in bezug auf das Klima interpretieren heißt, den nicht aufhebbaren Zusammenhang zwischen Klima und Geschichte aufzuzeigen. Das häufigste Mißverständnis begegnet uns in der landläufigen Überzeugung, Mensch und Natur beeinflußten einander wechselseitig. Damit würden jedoch von vornherein die Faktoren menschlichen Daseins und der Geschichte aus den konkreten klimatischen Phänomenen ausgeklammert und diese bloß als natürliche Umgebung verstanden werden. Diese Auffassung behauptet, nicht nur der Mensch werde durch das Klima bestimmt, auch das Klima sei Beeinflussungen und Veränderungen durch den Menschen ausgesetzt. Dies aber heißt die wahre Natur des Klimas (fudo) verkennen. Dagegen haben wir zu erkennen gesucht, in welch starkem Ausmaß das Klima die Weise menschlichen Selbstverständnisses bestimmt. Das Sich-selbst-Verstehen des Menschen, des Menschen in seiner doppelten Beschaffenheit als individuelles und als gesellschaftliches Wesen, ist immer auch schon geschichtlich. Deshalb gibt es kein von der Geschichte losgelöstes Klima und auch keine vom Klima losgelöste Geschichte. Dies läßt sich nur von der Grundstruktur menschlichen Daseins her verstehen.
2. Die Bestimmtheit menschlichen Daseins durch das Klima
Oben haben wir die klimatischen Phänomene definiert als Mittel zur Selbstfindung des Menschen. Was aber ist das, ,,der Mensch"? Auf eine eingehende Erörterung dieser Frage muß ich hier verzichten, da ich mich an anderer Stelle bereits mit ihr auseinandergesetzt habe. (Einen Überblick über diese Problematik habe ich in meinem Buch >Ethik als Wissenschaft vom Menschen< zu geben versucht. Ausführlicher habe ich mich mit dieser Frage in meinem demnächst erscheinenden Buch >Ethik< befaßt.) Um nun das Klima als ein Moment zu interpretieren, durch welches das menschliche Dasein bestimmt ist, müssen wir herausfinden, welchen Stellenwert eine solche Bestimmung für die Struktur des menschlichen Daseins hat.
a) Mit ,,Mensch" (nin-gen) ist hier nicht nur das Individuum (anthropos, homo, homme, man, Mensch) gemeint. Zwar ist der Mensch Individuum, in Verbindung oder Gemeinschaften von Menschen ist er aber zugleich auch ,,Gesellschaft". Diese doppelte Beschaffenheit ist grundlegend für den Menschen. Weder die Anthropologie, die sich nur mit der einen Seite des Menschen, mit seiner Individualität, befaßt, noch die Soziologie, die ausschließlich seine andere Seite, seine Verfassung als gesellschaftliches Wesen, betrachtet, können daher sein Wesen begreifen. Um ihn aber von Grund auf zu verstehen, gilt es, die Grundstruktur des Menschen, die ihn als einzelnen und als geselkchaftliches Wesen zeigt, zu erkennen. Nur von daher wird evident, daß dieses Dasein eine negative Aktivität der absoluten Negation ist. Menschliches Dasein ist nichts anderes als die Realisation dieser negativen Aktivität.
b) Menschliches Dasein im oben genannten Sinne ist eine Aktivität, die durch Aufspaltung in unzählige Individuen verschiedene Verbindungen und Gemeinschaften hervorbringt. Diese Aktivität des Sich-Aufspaltens und Sich-Vereinigens ist wesenhaft subjektiv, kommt jedoch ohne den subjektiven Leib nicht zustande. So bilden subjektive Zeitlichkeit und Räumlichkeit die Grundstruktur dieser Aktivität. Hierin werden Raum und Zeit in ihrer ursprünglichen Gestalt begriffen, und damit wird auch klar, daß beide nicht voneinander zu trennen sind. Der Versuch, menschliches Dasein als bloß zeitlich strukturiert zu begreifen, verfällt einer Einseitigkeit, welche darauf aus ist, das Wesen des menschlichen Daseins einzig im Grunde des individuellen Bewußtseins zu suchen. Wenn man aber von vornherein den Menschen in seiner wesenhaft doppelten Beschaffenheit erkennt, wird sofort deutlich, daß Räumlichkeit und Zeitlichkeit nur zusammen angetroffen werden.
c) Sobald klar ist, daß die Struktur des menschlichen Daseins eine räumlich-zeitliche ist, wird auch die Struktur des menschlichen Miteinanders in ihrer wahren Gestalt deutlich. Die verschiedenen vom Menschen gebildeten Vereins- und Gemeinschaftskörper bilden ein System, das sich von innen her in einer bestimmten Ordnung entwickelt. Diese Ordnung darf nicht als eine statische Struktur der Gesellschaft gesehen werden, sondern als ein System dynamischer Aktivität, das heißt als ein System negativer Aktivität. Diese Aktivität gestaltet, was man als "Geschichte" bezeichnet.
d) Hier nun zeigt sich die räumlich-zeitliche Struktur menschlichen Daseins als klimatisch bedingte Geschichtlichkeit. Der Untrennbarkeit von Geschichte und Klima liegt die Untrennbarkeit von Raum und Zeit zugrunde. Ohne das Räumlich-Strukturiertsein des subjektiven Menschen gäbe es keine gesellschaftliche Struktur, und Zeit könnte nicht Geschichte werden, gründete sie nicht in diesem gesellschaftlichen Dasein, denn die Struktur des gesellschaftlichen Daseins des Menschen ist die Geschichtlichkeit. An dieser Stelle wird auch der endlich-unendliche Doppelcharakter menschlichen Daseins evident. Menschen sterben, und damit ändert sich ihr ,,Zwischen". Und doch lebt der Mensch weiter, auch wenn er ständig stirbt und sich ständig verändert; sein ,,Zwischen" ist von Dauer. Indem es ständig endet, dauert es fort. Vom Standpunkt des Individuums aus ist dies ein ,,Sein zum Tode", vom Standpunkt der Gesellschaft aus jedoch ein ,,Sein zum Leben". Menschliches Dasein ist also individuell-gesellschaftlich. Das gesellschaftliche Dasein ist indes nicht nur geschichtlich, sondern auch klimatisch strukturiert; seine Geschichtlichkeit und seine Klimahaftigkeit sind nicht voneinander zu trennen, ja, zusammen aus Geschichtlichkeit und Klimahaftigkeit erst entsteht sozusagen der ,,Leib" der Geschichte. Geht man von einem Gegensatz zwischen ,,Geist" und ,,Materie" aus, dann kann Geschichte nie die Selbstentfaltung des reinen Geistes sein. Nur wenn Geist das sich selbst objektivierende Subjekt ist, will sagen, nur wenn er diese subjektive Leibhaftigkeit enthält, kann er sich selbst entfalten und Geschichte werden. Diese subjektive Leibhaftigkeit ist eben das Klima. In seiner geschichtlich-klimatischen Struktur zeigt sich der endlich-unendliche Doppelcharakter des menschlichen Daseins am deutlichsten.
Hier ist der Ort, wo die Klimahaftigkeit sich zeigt: Hier wird der Mensch zu einem, der nicht nur ,,Vergangenheit" in einem allgemeinen Sinn, sondern auch eine spezifisch ,,klimatische Vergangenheit" mit sich trägt, und dadurch wird die Struktur der allgemein-formalen Geschichtlichkeit erfüllt mit einer besonderen Substanz. Dies erst ermöglicht, daß das geschichtliche Dasein des Menschen zu einem Dasein in einem bestimmten Land und in einer bestimmten Zeit wird. Das besagt jedoch nicht, daß das ,,Klima" als diese spezifische Substanz zunächst einmal als bloßes Klima vorhanden sei und erst später in die Geschichte eintrete, nein, es ist immer schon ,,geschichtliches Klima". Der klimatisch-geschichtliche Doppelcharakter des Menschen zeigt, daß die Geschichte klimatische Geschichte und das Klima geschichtliches Klima ist. Die Behauptung, Geschichte und Klima existierten getrennt voneinander, ist ein aus diesem konkreten Grund herausgezogenes Abstraktum. Das Klima, nach dem wir hier fragen, ist das vor dieser Abstraktion existierende eigentliche Klima.
Dies ist der Ort, den das Klimatisch-Bestimmtsein in der Struktur des menschlichen Daseins einnimmt. Daraus wird ersichtlich, daß das Problem des Klimas Ähnlichkeit hat mit dem des ,,Leibes" in der bisherigen Anthropologie, wobei diese aus dem individuell-gesellschaftlichen Doppelcharakter des Menschen lediglich den individuellen Aspekt herausschälte und versuchte, das von seinem ,,Zwischen" abstrahierte Individuum im Hinblick auf seinen leiblich-seelischen Doppeicharakter zu begreifen. Alle Versuche, zu einer klaren Unterscheidung zwischen Leib und Seele zu gelangen, führten jedoch dazu, daß die jener Unterscheidung zugrundeliegende Einheit außer acht gelassen wurde, da man dem ,,Leib" seine konkrete Subjektivität nahm und ihn lediglich als ,,Körper" verstand. In der Folge spaltete diese Wissenschaft sich in ein spiritualistisches und ein materialistisches Lager, wobei das eine sich zur Psychologie und Epistemologie, das andere sich zu einer Anthropologie entwickelte, die sich als Zweig der Zoologie oder der Physiologie und Anatomie verstand. Heute versucht eine philosophische Anthropologie, diesen leib-seelischen Doppelcharakter zu begreifen. Wir begegnen hier der grundlegenden Einsicht, daß der Leib mehr als nur ,,Körper", nämlich auch Subjektivität ist. Solange die Anthropologie allerdings ihrer bisherigen Tradition folgt, wird der Mensch auch weiterhin als Individuum und nicht als ,,Mensch im Zwischen" Gegenstand ihrer Untersuchung bleiben. Auch wir wollen hier diesem Problem nachgehen, jedoch von einem Standpunkt aus, für den der individuell-gesellschaftliche Doppelcharakter des Menschen das Grundproblem des menschlichen Daseins ist. Die Subjektivität des Leibes beruht auf der räumlich-zeitlichen Struktur des menschlichen Daseins. Der subjektive Leib existiert nicht isoliert, sondern hat eine dynamische Struktur, die sich darin zeigt, daß er in der Isolation nach Vereinigung und in der Vereinigung nach Isolation strebt. Die verschiedenen Formen des Miteinanderseins, die sich in dieser dynamischen Struktur ausbilden, nehmen geschichtlich-klimatische Gestalt an. Auch das Klima gehört zum Leib des Menschen; wie der ,,Körper" wurde es jedoch als etwas rein Stoffliches erachtet und als lediglich natürliche Umgebung objektiviert. Es gilt also, die Subjektivität des Klimas in demselben Sinne wiederzugewinnen wie die des Leibes. Und so könnte man sagen, daß der ursprüngliche Sinn der Leib-Seele-Beziehung in der Leib-Seele-Beziehung des ,,Menschen im Zwischen", nämlich in der individuell-gesellschaftlichen Beziehung liegt, die in sich immer schon die Beziehung zu Geschichte und Klima enthält.
Bei dem Versuch, die Struktur des menschlichen Daseins zu analysieren, liefert das Problem des Klimas entscheidende Hinweise, denn es zeigt, daß ein ontologisches Daseinsverständnis durch das Transzendieren der zeitlichen Struktur allein nicht mehr zu erreichen ist. Dazu bedarf es einer anderen Transzendenz, deren Struktur darin besteht, im Anderen sich selbst zu finden und durch die Vereinigung von Selbst und Anderem zur ursprünglichen absoluten Negativität zurückzugelangen. Der Ort dieser Transzendenz ist dann das ,,Zwischen" zwischen Selbst und Anderem. Eben dieses ,,Zwischen", in dem das Selbst und der Andere sich überhaupt erst finden lassen, ist immer schon Grund und Ort des ,,Hinausgestelltseins" (ex-sistere). Als zeitliche Struktur des ,,Zwischen" muß Transzendenz ferner immer schon geschichtliche Bedeutung haben. Das, was sich ständig auf Zukunft hin verläßt, ist nicht nur das einzelne, individuelle Bewußtsein, sondern das ,,Zwischen" selbst. Die Zeitlichkeit des individuellen Bewußtseins ist bereits etwas vom Grund der Geschichtlichkeit des ,,Zwischen" Abstrahiertes. Und schließlich meint diese Transzendenz ein Sich-Hin-ausstellen ins Klima, was besagt, daß der Mensch im Klima sich selbst findet. Vom Standpunkt des Individuums aus führt dies zu einer Erkenntnis des Leibes; von dem noch konkreteren Standpunkt des menschlichen Daseins aus jedoch zeigt sich dieses Erkennen des Leibes in der Art und Weise der Gemeinschaftsbildung und damit in den Sprachstrukturen, den Produktionsmethoden, dem Hausbau und dergleichen. Als Struktur des menschlichen Daseins muß Transzendenz diese Momente in sich enthalten.
So gesehen ist das Moment, wodurch das subjektive Dasein des Menschen sich selbst objektiviert, nur im Klima zu finden. Wie wir bereits festgestellt haben, zeigen die klimatischen Phänomene, daß wir uns als immer schon ,,Hinausgestellte" entdecken. Als Menschen, die sich selbst in der Kälte gefunden haben, stehen wir uns durch die Instrumente wie Kleidung und Wohnung, die wir zum Schutz vor der Kälte ersonnen haben, selbst gegenüber. Mehr noch, das Klima selbst, in das wir hinausgestellt sind, wird etwas zu Benutzendes. Die Kälte z.B. läßt uns nicht nur zu warmen Kleidern greifen, sie läßt sich auch dazu verwenden, tofu (Sojakäse) einzufrieren. Die Hitze läßt uns einerseits zum Fächer greifen, zugleich aber wird sie nutzbar gemacht für den Reisanbau. Der Wind bewirkt, daß wir in den Tempel eilen und um Schutz in der Taifunzeit beten, aber er füllt auch die Segel und verhilft den Schiffen zur Fahrt. Auch hier sind wir ins Klima ,,hinausgestellt" und lernen dadurch, uns als Benutzer zu verstehen, das heißt, dieses durch das Klima zustande kommende Selbstverständnis läßt uns das Instrument, das Werkzeug, als das uns Gegenüberstehende erkennen.
Es ist in der Tat sehr lehrreich, daß derartige Instrumente so leicht greifbar sind. Seinem Wesen nach ist ein Werkzeug dazu da, benutzt zu werden; ein Hammer z.B. ist zum Schlagen (Klopfen) da, Schuhe sind dazu da, getragen zu werden. Der dienende Gegenstand hat einen immanenten Zusammenhang mit dem Zweck, dem er dient. Der Hammer z.B. dient der Herstellung von Schuhen, das Schuhwerk wiederum dient dem Gehen. Das Wesen des Werkzeuges ist sein hinweisender Charakter, d.h. es ist Mittel zu einem Zweck, stellt also einen Zusammenhang zu etwas anderem her. Dieser zweckgerichtete Zusammenhang entsteht aus dem Dasein des Menschen, und wir müssen feststellen, daß der Grund, aus dem dieser Zusammenhang, das ,,Dasein-für", erwächst, das Bestimmtsein des menschlichen Daseins durch das Klima ist. Schuhe mögen zwar Werkzeuge sein, die dem Gehen dienen; viele Menschen konnten jedoch ohne Schuhe auskommen. Erst Kälte oder Hitze machen Schuhe unentbehrlich. Kleider sind dazu da, getragen zu werden, in erster Linie dienen sie jedoch zum Schutz vor Kälte. Das heißt also, daß der zweckgerichtete Zusammenhang sich letzten Endes aus dem klimatisch bedingten Selbstverständnis des Menschen ergibt. In dem Maße, in dem wir in der Kälte und in der Hitze uns selbst verstehen, ist es unser freier Wille, uns vor ihnen zu schützen. Ohne Kälte oder Hitze würden wir nicht auf den Gedanken verfallen, Kleider herzustellen. Das klimatisch bedingte Selbstverständnis kommt zum Ausdruck, wenn wir aus einer abwehrenden Haltung heraus fragen, ,,wodurch" wir uns schützen können. Deshalb stellen wir dann Kleider her, dicke oder dünne, aus allerlei verschiedenen Stoffen und in unterschiedlicher Ausführung, je nachdem, ob es heiß ist oder kalt. Daß Materialien wie Wolle, Baumwolle und Seide sich zur Herstellung von Kleiderstoffen eignen, ist also eine gesellschaftliche Entdeckung. Daraus wird ersichtlich, daß das Werkzeug und das Klimatisch-Bestimmtsein menschlichen Daseins in einem engen Zusammenhang stehen. Die Tatsache, daß das Werkzeug dem Menschen so nah ist, besagt folglich nichts anderes, als daß die klimatische Bestimmtheit der wichtigste Faktor bei der Hervorbringung eines Gegenstandes ist.
Das Klima ist also das Moment der Selbstobjektivierung menschlichen Daseins, und in dieser Obektivierung gelangt der Mensch zum Verständnis seiner selbst. Deshalb sprechen wir von einer Selbstfindung des Menschen durch das Klima. Tag für Tag entdecken wir uns in irgendeinem Sinne selbst - zuweilen in einer heiteren, zuweilen in einer traurigen Stimmung. Doch darf diese Gemütsverfassung, diese Gestimmtheit, nicht nur psychologisch verstanden werden; sie ist eine Daseinsweise, allerdings keine frei gewählte, sondern eine auferlegte und ,,vorherbestimmte". Das Vorherbestimmtsein einer Stimmung oder eines Gemütszustandes ergibt sich freilich nicht allein aus dem Klima. Auch unsere individuell-gesellschaftliche Existenz bestimmt die Daseinsweise des einzelnen durch bereits existierende Zwischenbeziehungen, die gewisse Stimmungen mit sich bringen, oder eine gegebene geschichtliche Situation teilt sich einer Gesellschaft als Stimmung mit. Zusammen mit diesen Faktoren spielt das Klima eine ebenso große Rolle. Am Morgen z.B. finden wir uns in einer ,,erfrischten" Stimmung vor. Dieses Phänomen wird in der Regel so erklärt, daß besondere Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsbedingungen uns von außen beeinflussen und uns innerlich erfrischen. Dem widerspricht aber unsere Erfahrung, denn wir erfahren nicht unsere seelische Verfassung, sondern die frische Morgenluft. Das Objekt, das als eine bestimmte Temperatur oder Luftfeuchtigkeit erkannt wird, hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit der Frische. Die Frische als solche ist eine Daseinsweise des Menschen, weder ist sie ,,Ding" noch ,,Eigenschaft eines Dings". Zwar gehört sie zu dem ,,Ding", genannt ,,Luft", ist aber weder die Luft selbst noch eine Eigenschaft der Luft. Eine bestimmte Daseinsweise wird uns nicht durch ein Ding namens ,,Luft" auferlegt. Daß die Luft sich in einem Zustand der Frische befindet, heißt nichts anderes, als daß wir selbst uns in einem Zustand der Frische befinden, daß wir uns selbst in der Luft finden. Die Frische der Luft ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der Frische unserer seelischen Verfassung, was sich am deutlichsten in der Weise zeigt, wie das morgendliche Gefühl der Frische in der Begrüßung zum Ausdruck kommt. Wir verstehen uns selbst in dieser Frische der Luft, wobei nicht unsere psychische Verfassung frisch ist, sondern die Luft. Deshalb können wir einander auch ganz unkompliziert begrüßen, ohne erst herausfinden zu müssen, in welcher seelischen Verfassung der andere sich befindet, etwa mit:
,,Welch schönes Wetter heute!" oder: ,,Was für eine schöne Jahreszeit!", denn wir treten ja beide in die frische Luft des Morgens hinaus und sind beide getragen durch diese frische Daseinsweise.
Immer wieder begegnen wir diesem Getragensein durch das Klima:
An einem klaren, schönen Tag sind wir heiter gestimmt; niedergeschlagen, wenn der Pflaumenregen fällt; voller Lebenslust, wenn das junge Grün hervorbricht; sanft und ruhig, wenn der Frühlingsregen niedergeht; voller Frische an einem Sommermorgen; aufgewühlt und wild, wenn der Taifun bläst - all die ki-Wörter, die im haiku zur Beschreibung der Jahreszeit verwendet werden, reichen nicht aus, um jenes Vom-Klima-Getragensein hinlänglich zum Ausdruck zu bringen. Unser Dasein ist in unendlich mannigfaltiger Weise durch das Klima bestimmt, und so tragen wir nicht nur an der Vergangenheit, sondern auch am Klima.
Nun hat unser Dasein freilich nicht nur den Charakter des Getragenseins, sondern auch den der Freiheit. Dies macht ja seine Geschichtlichkeit aus, daß es bereits gewesen und zugleich zukünftig, getragen und frei ist. Die Geschichtlichkeit ist jedoch nicht zu trennen von der Klimahaftigkeit. Wenn also das Getragensein des menschlichen Daseins nicht nur aus einem solchen Von-Vergangenheit-Getragensein, sondern auch aus einem Getragensein durch das Klima besteht, dann wirkt dieses Klimatisch-Bestimmtsein des Menschen sich in einem gewissen Maße auch auf die Freiheit seines Handelns aus. Man braucht nicht eigens zu erwähnen, daß in ihrem Werkzeugcharakter Kleidung, Nahrung und Wohnung vom Klima bestimmt sind. Noch wesentlicher aber ist, daß die Art des Selbstverständnisses des Menschen, der ja immer schon der Bestimmung durch das Klima unterliegt, wenn er zu sich selbst kommt, durch die Art des Klimas geprägt ist. Es ist uns im ontischen Sinne von vornherein evident, daß entsprechend den Verschiedenheiten des Klimas die Ausdrucksformen menschlichen Daseins jeweils verschieden sind. Also gelangt die ontologische Untersuchung zu der Einsicht, daß der Typus des Klimas der Typus des Selbst-verständnisses des Menschen ist. Wenn demnach der Charakter eines Klimas prägend ist für das Selbstverständnis des Menschen, dann müssen wir die Beschaffenheit des jeweiligen Klimatypus untersuchen.
In welcher Weise kann dies gelingen?
Das Klimatisch-Bestimmtsein menschlichen Daseins, wie wir es oben zu beschreiben versucht haben, ist ein Problem der geschichtlich-klimatischen Struktur des Menschen im allgemeinen und nicht das der Daseinsweise eines einzelnen Menschen. Im letztgenannten Fall handelt es sich lediglich darum festzustellen, daß ein konkreter Mensch jeweils in einer besonderen Art und Weise in einer bestimmten Zeit da ist; diese Besonderheit zu untersuchen, ist hier nicht unsere Aufgabe. Ontologisch gesehen läßt die menschliche Daseinsweise nicht unmittelbar den besonderen Charakter menschlichen Daseins erkennen. Ein ontisches Verständnis kann sie nur methodisch vermitteln.
Um also das konkrete Dasein des Menschen in seiner Besonderheit zu verstehen, müssen wir auf dem Wege ontischen Erkennens vorgehen, das heißt, wir müssen uns um ein unmittelbares Verständnis der geschichtlich-klimatischen Phänomene bemühen. Wenn aber das geschichtlich-klimatische Phänomen nur als ein objektiver Gegenstand angesehen wird, kann es als Klima in dem obengenannten Sinn überhaupt nicht begriffen werden. Um zu einem wirklichen Verständnis des Klimas zu gelangen, müssen wir daher genauestens der ontologischen Bestimmung folgen, der zufolge Klima das Moment der Selbstobjektivierung, der Selbstfindung menschlichen Daseins ist und nur durch die Interpretation der klimatisch-geschichtlichen Phänomene sich der Charakter des Klimas als Charakter des subjektiven Daseins des Menschen herausstellt. Sofern unsere Betrachtung sich der Besonderheit des jeweiligen Daseins zuwendet, ist sie ontische Erkenntnis; sofern sie aber diese Besonderheit als Modus des sich selbst erkennenden Daseins versteht, ist sie zugleich ontologische Erkenntnis. Das Verständnis der besonderen klimatisch-geschichtlichen Struktur kann folglich nur durch ontisch-ontologische Erkenntnis zustande kommen. Wenn es um den Charakter des Klimas geht, gibt es keine andere Möglichkeit.
Wir gehen also aus von der Betrachtung der jeweils besonderen klimatischen Phänomene und wollen uns dann den Besonderheiten des menschlichen Daseins zuwenden. Da Klima wesenhaft geschichtlich ist, entspricht der Typus eines Klimas dem der Geschichte. Wir wollen und können nicht vermeiden, innerhalb der besonderen klimatisch-geschichtlichen Struktur des Menschen den klimatischen Aspekt hervorzuheben, da er, im Vergleich zum geschichtlichen, weitgehend außer acht gelassen wurde, wohl weil er wissenschaftlich schwerer zu erfassen ist. Herder z.B. wollte durch die ,,Auslegung der lebendigen Natur" zu einer ,,Klimatologie des menschlichen Geistes" gelangen, was ihm die Kritik Kants eintrug. Kant bemerkte dazu, dieser Versuch sei nicht wissenschaftlich, sondern eher das Produkt dichterischer Phantasie. Vor diese Gefahr sieht sich jeder gestellt, der es unternimmt, sich gründlich mit dem Problem des Klimas zu befassen. Ich meine aber, daß man sich dieser Gefahr aussetzen muß, denn auch die Betrachtung der Geschichte wird erst dann wirklich konkret, wenn das Problem des Klimas von Grund auf untersucht wird.
Verfaßt 1929, bearbeitet 1931, ergänzt 1935."
Zitiert aus: Watsuji Tetsuro: Fudo - Wind und Erde: Der Zusammenhang von Klima und Kultur. Übers. und eingeleitet von Dora Fischer-Barnicol und Okochi Ryogi. – 2., unveränd. Aufl. – Darmstadt: Primus Verl., 1997 ISBN 3-89678-063-8
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